Erziehen wir länderspezifisch? - Kulturen und Mindsets im Vergleich
Kategorie:
Unternehmen
Veröffentlicht:
Nov 2, 2022
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Heute haben wir gleich das doppelte Vergnügen - mit Imme aus Norddeutschland und Carolina aus Frankfurt. Das besondere sind nicht diese beiden Wohnorte, sondern eure unterschiedlichen Prägungen und kulturellen Mindsets. Imme ist in Deutschland geboren, Carolina in Singapur.

Erzählt doch beide mal etwas zu euren aktuellen Lebenssituationen.

Imme: Ich habe mit meinem Mann vor ein paar Jahren eine Firma gegründet. Wir haben das YAY Online-Tagebuch entwickelt, das vor allem Eltern nutzen, um ihre vielen Fotos zu sortieren, Erinnerungen dazu aufzuschreiben und diese zeitsparend als Erinnerungsbücher zu drucken. 

Mein Mann und ich arbeiten beide im Homeoffice. Zusammen mit unseren beiden Kindergartenkindern leben wir an der Ostsee.
Carolina: Ich bin mit meinem Mann nach Deutschland gezogen, um sowohl berufliche als auch private Chancen zu nutzen. Nach 10 Jahren Arbeit in multinationalen Organisationen, in denen ich Talentprogramme leitete, beschloss ich, mein eigenes Unternehmen zu gründen und mich auf ein soziales Problem zu konzentrieren, dem ich meine Zeit und Energie widmen möchte.

Derzeit bin ich eine der Gründerinnen der &ahead GmbH, einer digitalen Plattform, die unsere Mitglieder auf ihrer Reise zur beruflichen Neuorientierung durch unsere Methodik, KI-gesteuerte Empfehlungen und ein globales Netzwerk von Mentoren, Coaches und Unternehmen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie respektieren, unterstützt. Viele unserer Mitglieder sind Frauen, die nach einer Karrierepause aus der Elternzeit oder einem Sabbatical ins Berufsleben zurückkehren, und wir möchten sie dabei unterstützen, ihr berufliches Potenzial als Führungskräfte in ihren Bereichen auszuschöpfen.

Als Mutter von zwei kleinen Töchtern war der Aufbau von &ahead sehr erfüllend, wobei ich auch etwas über die Unterschiede zwischen den Arbeits- und Lebenskulturen in Singapur und Deutschland gelernt habe und weiterhin lerne.

Was hat Euch in eurer eigenen Kindheit und auch kulturell geprägt?

Imme: Meine eigene Kindheit war geprägt vom Leben in einer Kleinstadt an der Ostsee, der Möglichkeit, mich frei in der Natur zu bewegen und von unseren Campingurlauben in Frankreich. Die Frage nach der kulturellen Prägung ist eine so umfassende, dass sie kaum in wenigen Sätzen zu beantworten ist. Dazu zählt sicher das Aufwachsen in Freiheit. Die Möglichkeit, sich auch als Mädchen sicher bewegen und frei äußern zu können, sowie das Gefühl, (zumindest theoretisch) alles werden zu können. 

Obwohl es auf meiner Schule damals keine Ausländer gab, bin ich mit der Neugier für andere Kulturen aufgewachsen. Nach dem Studium habe ich in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet, weil ich den Austausch mit anderen Kulturen so schätze. Das habe ich meinen Eltern zu verdanken, die mir Offenheit und die Initiative zur Integration vorgelebt haben. Als in unseren Ort eine Familie aus dem Libanon zog, waren wir diejenigen, die sie zum Geburtstag eingeladen haben. 

Das sind ein paar der positiven Werte, die ich an meine Kinder weitergeben werde.
Carolina: Ich wurde in Singapur geboren und habe in den letzten 19 Jahren nach meinem Abschluss an der Singapore Management University in mehr als sechs Ländern gelebt und gearbeitet, darunter Belgien, China, Frankreich, Österreich, Abu Dhabi und jetzt Deutschland. Mein Vater ist seit mehr als 30 Jahren Unternehmer, so dass ich von klein auf in Geschäftsgespräche beim Mittag- oder Abendessen oder bei Kundentreffen verwickelt wurde, was mein Interesse an der Gründung eines eigenen Unternehmens weckte. Meine Mutter arbeitete in der Qualitätskontrolle eines großen multinationalen Unternehmens und beschloss, sich nach 10 Jahren Berufserfahrung voll und ganz auf die Familie zu konzentrieren, und kehrte danach nie wieder erfolgreich in den Beruf zurück, was einer der ersten Auslöser für die Idee von &ahead war.

Wie Imme hatte auch ich nicht viel Kontakt zu Ausländern. Nachdem ich mich AIESEC, einer der weltweit größten Studentenorganisationen, angeschlossen hatte, kam ich nach meinem Abschluss für ein Praktikum bei AB InBev nach Europa, wo sich mein Weltbild völlig veränderte. Von da an habe ich in mehr als 6 weiteren Ländern gearbeitet und gelebt: Belgien, China, Portugal, Österreich, die Vereinigten Arabischen Emirate und jetzt Deutschland, meistens, um Karrieremöglichkeiten zu verfolgen oder meine Familie zu besuchen.

Woher kennt ihr euch? Wann ist euch aufgefallen, dass es ein anderes Selbstverständnis und auch Anforderungen an euch als Mutter gibt?

Imme: Carol und ich haben uns auf einem Gründertreffen in Frankfurt am Main kennengelernt. Bevor ich an die Ostsee zurück gekehrt bin, habe ich über zehn Jahre in Frankfurt gelebt. Später habe ich Caro zu meinem Podcast eingeladen, in dem selbstständige Eltern mit ihrem Herzensbusiness im Fokus stehen. 

Nach der Aufnahme musste ich los, um die Kinder abzuholen. Carol und mir fiel auf, dass es für mich als deutsche Mama normal ist, meine Kinder am frühen Nachmittag aus der Kita abzuholen. Die Kita ist ein wichtiger und guter Bestandteil unseres Familienalltags. Allerdings würde ich die Kinder nicht bis 17 Uhr dort lassen, was in Singapur (und in vielen anderen Ländern der Welt) selbstverständlich ist. Nicht wahr, Carol?
Carolina: Ja, das war wirklich ein großer Kulturschock für mich, da ich aus Singapur komme, wo einige unserer Kinderbetreuungseinrichtungen sogar das Abendessen servieren, weil beide Elternteile bis spät in die Nacht arbeiten müssen. In Deutschland habe ich auch zum ersten Mal den Begriff "Rabenmutter" kennengelernt. Durch die lange Elternzeit in Deutschland habe ich gelernt, Prioritäten zu setzen und meine Arbeit und mein Leben besser in Einklang zu bringen, denn die Gesellschaft legt Wert auf ein Gleichgewicht. Andererseits haben Frauen in Singapur im Allgemeinen viel kürzere Karrierepausen (4 bis 6 Monate) als in Deutschland (12 bis 36 Monate).

Bezahlbare Kindermädchen sind die Norm, und Eltern bewältigen ihren hektischen Berufsalltag weiterhin mit externer Hilfe und Großeltern. Kinderbetreuung wird bereits ab einem Alter von 4 bis 6 Monaten angeboten, was für Eltern, die nicht in der Lage sind, sich eine Auszeit von der Arbeit zu nehmen, eine große Hilfe ist, aber es kann emotional sehr schwierig sein, so früh nach der Geburt wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren.

Denkt ihr, man kann sich aus verschiedenen Kulturen (auch mit Blick auf andere Länder wie Frankreich und Italien) noch etwas abschauen oder ist einmal geprägt für immer fix?

Imme: Als ich vor zwanzig Jahren in Frankreich gelebt habe, war das französische Betreuungssystem weiter entwickelt als das deutsche. U3-Betreuung war schon damals normal, während die Betreuung in Deutschland zu der Zeit erst mit dem Kindergarten begann. Allerdings hat sich das französische System wenig weiterentwickelt. Kitaplätze fehlen genauso wie in Deutschland, in Italien sieht es ähnlich aus.

Die Möglichkeit zur Elternzeit ist in Deutschland wunderbar. In meinem Podcast erzählen mir immer wieder Frauen, wie stark sie ein Jahr Elternzeit geprägt hat. Dennoch gibt es noch viel zu verbessern, damit Familie und Beruf in Deutschland unbeschwerter in Einklang gebracht werden können. Ich finde es zum Beispiel ein Unding, dass ein angestellter Elternteil keinen Kindkranktag nehmen kann, wenn der andere Elternteil selbstständig ist.

Generell kann Deutschland in der Familienpolitik in vielen Aspekten von Skandinavien lernen.
Länderspezifische Erziehung
Carolina: Wir können auf jeden Fall von den verschiedenen Ländern, ihren Mentalitäten, Systemen und Prozessen in Bezug auf Kinderbetreuung und Elternzeiten lernen. Außerdem können wir Unternehmen dabei helfen, ein Unterstützungssystem für ihre Eltern zu planen, um ihnen den Einstieg in die Elternschaft und den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern.

Aus diesem Grund arbeiten wir derzeit eng mit Unternehmen aus den Bereichen Technologie, Finanzen, FMCG und Pharmazeutik zusammen, um ihre Mitarbeiter/Mitglieder zu unterstützen, die daran interessiert sind, ihre Karriere wieder in Gang zu bringen und Führungsaufgaben im Rahmen ihrer Wiedereinstiegsprogramme zu übernehmen. Diese Programme wurden bereits vor 10 Jahren in den USA mit Goldman Sachs gestartet und nun auch in Deutschland eingeführt. Wir haben uns zum Beispiel mit der Fitch Group zusammengetan, um ihr CreditPath-Programm in Deutschland und Singapur zu unterstützen.

Welchen Anteil hat das Miteinander, die Gesellschaft und andere Mütter aus eurer Sicht?

Imme: Die Gesellschaft nimmt eine äußerst prägende Rolle für das Miteinander zwischen Eltern, zwischen Eltern und Nicht-Eltern sowie auch zwischen Eltern und Arbeitgebern ein.

Über Mom-Shaming haben bereits viele Journalistinnen und Journalisten geschrieben. Wir alle kennen den Begriff der Rabenmutter und haben gegenseitiges Mütter-Bashing in den Sozialen Medien erlebt. Erst kürzlich las ich von einer Mama, die erst viel später schwanger wurde, als erhofft. Als ihr Kind mit einem Jahr in die Kita kam und ihre Gefühle auf Instagram teilt, kommentierte eine andere Mutter, wie sie das Kind weggeben könnte, sie hätte sich doch so sehr auf ihr Kind gefreut. 

Das sind Themen, die es in Ländern, in denen Frauen seit jeher wenige Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gehen, gar nicht in der Form gibt. 
Carolina: Ich stimme Imme zu, das gesamte Ökosystem muss eng zusammenarbeiten. Unser Team hat die Aufgabe, alle Menschen zu befähigen, ihr berufliches Potenzial auszuschöpfen, unabhängig davon, in welcher Lebensphase sie sich befinden. Um das zu erreichen, müssen wir die Mentalität in der Gesellschaft ändern, z. B. indem wir die Zeit des Elternurlaubs als eine positive Chance sehen, bei der der Einzelne neue Fähigkeiten erlernt und sich weiterentwickelt.

Dies wurde in unserem letzten Interview mit dem Handelsblatt erörtert. Mütter können sich auch gegenseitig anfeuern und unterstützen, indem sie sich gegenseitig als Mentoren, Berater oder Coaches zur Seite stehen. Sie können sogar eine Co-Leiterin sein, die sich eine Rolle innerhalb des Unternehmens teilt - eine Strategie, die von Unternehmen wie SAP übernommen wurde.

Was wollt ihr anderen Moms und Dads noch mitgeben?

Imme: Schau nicht zu sehr, was andere machen. Es ist nicht einfach, sich davon freizumachen, doch langfristig der einzige Weg zum Glücklichsein. Fühle immer wieder nach, ob du zufrieden damit bist, wie du deine Mutter- oder Vaterrolle lebst. Nur das zählt. 
Carolina: Ich liebe diese Antwort, Imme! Was mir außerdem wirklich geholfen hat, war der Aufbau einer Struktur und eines Unterstützungsnetzes, damit wir einen Plan A, B und C für die Arbeit und die Kinderbetreuung haben können. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Prioritäten und lernen Sie, einige der Aufgaben, die für Sie persönlich weniger wichtig sind, auszulagern. Eine der beliebtesten Aktivitäten, die unsere Mitglieder durchführen, ist ein tieferes Eintauchen in die ikigai-Methode.

Denke darüber nach, wie unser idealer Tag mit unserer Familie aussehen würde; was wir gut können; was wir lieben; wo wir uns weiterentwickeln möchten; welche Wirkung wir erzielen möchten und auch, wofür wir bezahlt werden möchten, damit wir ein gesundes Gleichgewicht halten und unsere Energien auf das konzentrieren können, was für uns wirklich wichtig ist.
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